Sprossen
und Keimlinge
Besser verträglich als Samen und reicher an Nährstoffen als die ausgewachsenen Pflanzen: Die Keimlinge.
Von Mag.a Ines Siegl
Besser verträglich als Samen und reicher an Nährstoffen als die ausgewachsenen Pflanzen: Die Keimung sorgt für eine bis zu 87 % gesteigerte Bioverfügbarkeit der Inhaltsstoffe. Warum Brokkolisprossen ein vielversprechendes Krebsmittel sind und was die anderen Sorten auszeichnet, lesen Sie hier.
Kresse kennt jeder, zumindest in seiner Jung-Form. Oder wissen Sie, wie Kresse aussieht, wenn sie groß ist? Sie ist das typische Sprossengemüse – nicht gesät, um ein stattliches Alter zu erreichen. Vielmehr ist sie dazu da, rund ums Jahr für würzige Frische zu sorgen. Sie liefert viele Vitamine, stärkt das Immunsystem, beugt Erkältungen vor und fürs Auge tut sie auch etwas – in Salaten, Sandwiches, Suppen und anderen Gerichten. Neben der Kresse gibt es viele weitere Arten von Sprossen, die auch Keimlinge oder Microgreens genannt werden, ein Wort aus dem Englischen, das sich sinngemäß mit „Mikro-Grünzeug“ übersetzen lässt. Schließlich werden die Microgreens, Sprossen oder Keimlinge maximal 5–7 cm groß, bis sie meist roh verzehrt werden.
In den letzten Jahren hat sich ein regelrechter Trend um Sprossen entwickelt. Die Nachfrage an pflanzenbasierter, regionaler und biologischer Ernährung macht die Minis zur geschätzten Vitaminquelle. Gesundheitsbewusste Genießer, Vegetarier und Veganer schätzen Sprossen als Protein- und Vitamin-B-Quelle. Praktischerweise haben sie ganzjährig Saison und sind in einer großen Vielfalt erhältlich.
Brokkoli gegen Krebs?
Die Krebsforschung untersucht schon länger die Familie der Kreuzblütler auf ihre Einsetzbarkeit als Krebsmittel, darunter Brokkoli und Karfiol (Blumenkohl), sämtliche Kohlsorten, Kresse, Kren, Radieschen und Rucola. Kreuzblütler enthalten mehr als 150 verschiedene Senföle, die für den teils scharfen oder bitteren Geschmack verantwortlich sind. Das am besten erforschte Senföl heißt Sulforaphan und wurde von Professor Dr. Ingrid Herr und ihrem Team vom Universitätsklinikum Heidelberg in experimentellen Studien untersucht; mit dem Ergebnis, dass Sulforaphan das Krebswachstum hemmt und die Wirkung von Chemotherapien verstärkt.4 Diese Untersuchungen in Heidelberg beziehen sich auf das Sulforaphan aus dem Gemüse und nicht aus Sprossen. Diese hat wiederum Jed W. Fahey mit seinem Team von der John-Hopkins-Universität in Baltimore untersucht und festgestellt, dass 3 Tage alte Brokkoli- und Karfiol-Keimlinge 10–100-mal höhere Glucoraphanin-Werte enthalten (Vorstufe von Sulforaphan) als die entsprechenden reifen Pflanzen.5 Brokkolisprossen sind demnach eine reiche Quelle an Enzyminduktoren und entschärfen aggressive und zellschädigende Sauerstoffverbindungen.
Interview mit Fritz Rauer
Fritz Rauer ist in 4. Generation Landwirt und hat im biozertifizierten Familienunternehmen im steirischen Bierbaum an der Safen die Sprossenzucht auf ein völlig neues Level gebracht. Österreichs erste EU-weit zugelassene Grünsprossen- und Keimlingsmanufaktur arbeitet CO2-neutral und völlig energieautark.
Aufzucht
Gekeimte, verzehrfertige Sprossen, die in Lebensmittelmärkten gekühlt angeboten werden, sind die einfachste Möglichkeit, das Mikrogrün mit allen gesundheitsfördernden Eigenschaften zu genießen. Freilich lassen sich die Nährstoffpakete auch selbst ziehen. Bei der Auswahl der Samen gilt es darauf zu achten, dass die Ware explizit zum Keimen ausgewiesen ist. Viele herkömmliche Samen für den Gartenbau sind mit Fungiziden vorbehandelt und der Verzehr als Sprossengemüse daher nicht zu empfehlen, vor allem, weil das Angebot an designierten Keimlingssamen und Anzuchtzubehör groß ist. Ganz gleich ob Sprossenturm, Keimglas oder Kressesieb – Voraussetzung für die Sprossenzucht sind eine feuchte und warme Umgebung sowie ein sehr sauberes Arbeiten, da Bakterien und Schimmelpilze im selben Milieu aufleben wie die Minipflänzchen.
Um die Samen aus ihrem Ruhezustand zu holen werden sie eingeweicht, das Verhältnis von Wasser zu Saatgut sollte mindestens 3:1 betragen. Manche Samen brauchen nur 20 Minuten Einweichzeit, um den Keimprozess in Gang zu bringen, bei anderen dauert es mehrere Stunden. Genaue Informationen sind den jeweiligen Sprossenpackungen zu entnehmen. Nach dem Einweichen der Samen dauert es je nach Sorte zwischen 2 und 7 Tagen, bis die Keimlinge verzehrfertig sind. Sie haben dann etwa eine Größe von 2–5 cm und nach dem ersten Paar Keimblätter noch keine echten Blätter. Während des Keimens zählt neben der Hygiene vor allem die richtige Kombination von Temperatur, Feuchtigkeit und Zuwendung: Zweimal am Tag werden die Samen mit frischem Wasser gespült, stark schleimende Sorten auch öfter.
Alle Sprossen (selbstgezogene und gekaufte) sollten vor dem Essen gründlich gewaschen werden. Wer hundertprozentig sicher sein möchte, keine ungewünschten Bakterien mit dabeizuhaben, blanchiert, brät oder dünstet die Sprossen für mindestens 30 Sekunden. Es gilt jedoch abzuwägen, ob das tatsächlich nötig ist, denn viele Vitamine und Nährstoffe sind nicht hitzebeständig. Die Lagerung der essfertigen Sprossen gelingt am besten sauber, dunkel, kühl und sollte nur von kurzer Dauer sein.
Sorten
Sprossen und Keimlinge werden bevorzugt aus Getreide und Hülsenfrüchten gezogen, geeignet sind aber auch die Jungpflanzen diverser Gemüsearten und Kräuter. Die Keimlinge der Hülsenfrüchte (außer Alfalfa) werden vor dem Essen kurz gegart, um schädliche Enzym-Inhibitoren und Hämagglutinine abzubauen. Je nach Geschmack passen Microgreens zu kalten Gerichten und in Salate, Aufstriche, Suppen, Eintöpfe und Pfannengerichte, geben Smoothies die Extra-Portion Nährstoffe und sind sogar für Süßspeisen geeignet (Weizen, Roggen, Gerste). Der Geschmack reicht von süßlich über frisch bis zu würzig und scharf-aromatisch.
Kresse
Kresse
Radieschen
Radieschen
Rettich
Rettich
Alfalfa (Luzerne)
Alfalfa (Luzerne)
Brokkoli
Brokkoli
Sonnenblumen
Sonnenblumen
- hoher Anteil ungesättigter Fettsäuren
- Phytosterine wirken positiv auf Cholesterinspiegel.
- 28 % Protein (enthält alle essentiellen Aminosäuren)
- Vitamine A, B1, B2, B6, B12, E, F, K und besonders viel D (stärkt das Immunsystem, schützt vor Viren und reguliert Entzündungsprozesse im Körper)
- sehr viel Eisen, Kupfer und Zink
- nussiges Aroma
- Keimdauer: 2–4 Tage
Leinsamen
Leinsamen
- 30 % ungesättigte Fettsäuren (wirken Ablagerungen im Körper entgegen)
- Vitamine E, F und K
- Eisen, Kupfer, Calcium, Magnesium, Phosphor und Jod
- Leinsamen sind durch die enthaltenen Schleimstoffe ein natürliches Verdauungsmittel.
- stabilisiert Blutzuckerwerte
- Enthaltene Phytoöstrogene wirken positiv auf Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie auf Blutgefäße und Blutdruck.
- schützende Wirkung auf Knochen
- Keimdauer: 3–4 Tage
Weizen
Weizen
- Vitamin B1, B2, B3 (Niacin), B5 (Pantothensäure), B6, B12, C und viel E
- Kalium, Natrium, Magnesium, Phosphor, Schwefel, Chlor, Eisen, Mangan, Kupfer, Kobalt, Selen, Zink, Jod und viel Calcium
- optimale Zusammensetzung essentieller Aminosäuren
- Spermidin (zellverjüngend)
- alkalisiert den Organismus auf zellulärer Ebene, stärkt das Immunsystem und enthält viele Antioxidantien
- kräftigende und stärkende Eigenschaften
- anfangs süßliches Aroma, später bitter
- ideal zum Entsaften
- Keimdauer: 2–4 Tage
Kürbiskerne
Kürbiskerne
- Hoher Zinkgehalt unterstützt die Funktion der Prostata.
- delta-5-Sterole und delta-7-Sterole (drosseln Stoffe, die bei gutartiger Prostatavergrößerung wirksam sind)
- wohltuende Wirkung auf die Augen
- Widerstandsfähigkeit gegen Infekte
- regen die Verdauung an
- Spermidin wirkt zellverjüngend (eng mit Zellwachstum verbunden).
- geschälte Ölkürbiskerne verwenden
- nussiges Aroma, auch für Süßspeisen und Brote geeignet
- Keimdauer: 2–3 Tage (werden danach rasch bitter).