Wie wird das
Herz so selig im Wald...

Der Wald ist weitaus mehr als eine Quelle für den nachwachsenden Rohstoff Holz.

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Von Gudrun Habersetzer


Die neue Romantik verklärt den Wald beinahe ebenso wie es im 1900 Jahrhundert schon Henry David Thoreau mit seinem Werk „Walden. Oder das Leben in den Wäldern.“ vormachte. Jedoch hat die neue Waldeslust aufgeklärtere Hintergründe. Heute wissen wir ganz genau, wie Bäume kommunizieren, wie sie miteinander oder mit anderen Lebewesen kooperieren. Und natürlich wissen wir, welchen Nutzen wir daraus ziehen können. Wald ist aber weitaus mehr als eine Quelle für den nachwachsenden Rohstoff Holz.

Allerortens ist neuerdings die Rede vom „Waldbaden“, „Bäume umarmen“ und dem „Seelenleben der Bäume“. Dieser Trend entstand etwa 2015 durch das Buch von Peter Wohlleben „Das geheime Leben der Bäume“. Wohlleben hatte zwar auch zuvor schon verschiedene Bücher zum Thema Wald veröffentlicht, dieses jedoch ist anders. Ganz anders. Es ist wissenschaftlich fundiert und die Sprache spiegelt Wohllebens große Liebe zum Wald wieder. Dies Empfinden überträgt sich beim Lesen sofort auf uns. Erstmals wird der Wald nicht als Ansammlung einzelner Bäume oder als Holzplantage betrachtet, sondern als einzigartige große umfassende Kreatur, die aus einer Vielzahl Lebewesen besteht – darunter keinesfalls nur Bäume! So gesehen ist der Wald – ebenso wie wir Menschen – ein Wesen, das durch die Vielfalt erst lebt. Ein Wesen, dessen Teile sich helfen, beschützen, lieben, bewegen und miteinander austauschen.

Der Wald bildet große Mengen von Staub, Ruß und Kohlendioxid und filtert damit die Luft. 1 Kubikmeter Holz speichert rund 1 Tonne CO2. Damit kommt dem Wald eine wichtige Klimaschutzfunktion zu. Aber der Wald besteht nicht nur aus Bäumen. Der größte Teil der Artenvielfalt im Wald verbirgt sich im Boden. Mit einer Handvoll Erde halten Sie gleichzeitig mehr Organismen in der Hand, als es Menschen auf der gesamten Erde gibt! Der Boden wirkt wie ein Schwamm, nimmt Wasser auf und reinigt es zu Trinkwasser. Er speichert Wasser und schützt damit vor Hochwasser. 

Die Wichtigkeit des Waldes wurde schon oft gemessen, besonders beeindruckend ist das von Forschern des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums geschehen: Zwischen 1990 und 2007 hatte der asiatische Eschenprachtkäfer in einigen amerikanischen Bundesstaaten etwa 100 Millionen Bäume vernichtet. In den Gebieten, in denen das geschah, sind im Vergleich deutlich mehr Menschen an Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen gestorben. Dies ist zwar noch kein Beweis für einen Zusammenhang, aber dieser ist doch recht wahrscheinlich.

Naturwissenschaft contra Naturromantik

Wir Menschen befinden uns heute in einem Zwiespalt zwischen allumfassendem Wissen über die Natur, welches wir zwar als sachlich richtig, aber auch mechanistisch separierend empfinden auf der einen Seite, und dem starken Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer beschützenden, heilen und heilsamen Natur auf der anderen Seite. So zieht es uns in der Freizeit in die Natur hinaus, und oft auch in den Wald. Jahrtausendelang durchstreiften die Menschen der Vorzeit die Wälder, denn fast alle Flächen waren mit Wald bedeckt. Auch heute noch ist er zu Recht eine beliebte Freizeitstätte, sei es zum Spazierengehen, Wandern, Radfahren, Pilze sammeln, Joggen oder für andere Hobbies. Nun bekommt der Wald als Quelle der Gesundheit ganz neue Bedeutung.

In Japan ist das „Waldbaden“ als Shinrin Yoku bekannt. Darunter versteht man das bewusste, geruhsame Verweilen im Wald. Es ist also keine Wanderung mit Zwischenstopp in der Waldwirtschaft, sondern ein stressfreier Aufenthalt ohne Ziel. Der japanische Umweltimmunologe Qing Li von der Nippon Medical School hat herausgefunden, dass Spaziergänge unter Bäumen Depressionen und Angst lindern können.

Vielfältig mit Forschung und Studien belegt sind inzwischen die positiven Wirkungen eines Verweilens im Wald. Beim Waldaufenthalt trifft das kommunizierende Immunsystem der Pflanzen auf das des Menschen und kommuniziert auch mit diesem. Das bemerken wir nicht, jedoch erhöht jeder Waldaufenthalt die Anzahl der Killerzellen in unserem Blut. Wir nehmen über unsere Haut und Atmungsorgane bioaktive Substanzen auf, darunter die Terpene – sekundäre Pflanzenstoffe und ätherische Öle. Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Phytonizide (= der ganz besondere Duft des Waldes) der Nadelbäume eine ähnliche Wirkung wie Antibiotika haben, wie Forscherinnen der Ludwig-Maximilians-Universität in München bestätigen.

Die medizinische Universität der Stadt Wien und die Universität für Bodenkultur haben in der Studie „Gesundheitswirkung von Waldlandschaften“ herausgefunden, dass der Wald eine vielversprechende Umgebung für medizinische Therapien ist, insbesondere bei Herzkreislauf- und Suchterkrankungen, Übergewicht, Burnout oder ADHS. 

Ein Waldausflug hebt die Stimmung, vertreibt negative Gedanken, steigert positive Emotionen und senkt die Gewaltbereitschaft. Das Bundesforschungszentrum für Wald schreibt in einem Bericht: „der Wald bietet Erlebnis- und Bewegungsraum und kann damit dazu beitragen, Aggressionen zu mildern“. Gewaltbereite Menschen sind oft nur aus Unsicherheit gewalttätig, sie können ihre Gefühle nicht einordnen und verarbeiten. Die Verarbeitung von Emotionen wird im und durch den Wald leichter. 

Im Warmbad-Villach, der Sonderkrankenanstalt für Medizinische Rehabilitation, gehört die Waldtherapie zum wöchentlichen Programm für Patienten. Patienten mit Stress, psychischen Belastungen, Burnout und chronischen Schmerzen werden damit behandelt. Das Stresshormon Cortisol verringert sich nachweisbar im Wald, ein Effekt, der noch über Tage hinweg anhält. Auch ein Pluspunkt für das Walderlebnis: Es gibt keinerlei negative Nebenwirkungen. 

Eine berühmte Studie zeigte schon 1984, dass sich Patienten in einem Krankenhaus in Pennsylvania nach einer Operation deutlich schneller erholten und weniger Schmerzmittel brauchten, wenn sie vor ihrem Krankenzimmer einen Baum anschauen konnten, als wenn dort nur eine Mauer war. Und Menschen, die in europäischen Großstädten näher an Parks wohnen, haben gesundheitliche Vorteile gegenüber denen, die weiter weg wohnen. Je länger der Aufenthalt am Wohnort dauerte, desto stärker die Wirkung, zeigten mehrere Studien aus den Niederlanden.

Aus ganz besonderem Holz

Die Zirbe ist besonders: Wie alle Nadelbäume ist sie stark harzhaltig und duftet sehr viele Terpene aus. Wer in einem Bett aus Zirbenholz schläft, dessen Herz schlägt langsamer. So erspart die Zirbe unserem Herzen pro Nacht eine Stunde Arbeit. 

Der Wald steht schwarz und schweiget

Wenn wir im Wald verweilen und bewusst auf die natürliche Umgebung achten, stellen wir fest, dass es gar nicht so still ist. Vögel singen, Spechte klopfen, Käuzchen rufen, unter unseren Füßen knacken Zweige und rascheln Blätter. Wenn wir länger ruhig an einem Platz bleiben, hören wir vielleicht auch die Tiere des Waldes: das Rascheln des Igels im Laub, das Keckern der Eichhörnchen bei ihren Fangspielen in den Bäumen, das Bellen der Rehe oder das Schreien der Fasane. Wie viele Tierstimmen können Sie erkennen Sie? Nur wenige? Und dann die Pflanzen! Kennen Sie die Bäume, unter denen Sie wandeln? Wie viele von Ihnen?  Die Pilze? Die Moose? Die Farne? Wir kennen die kunstvoll gezüchteten Gartenblumen besser als die natürliche Umwelt direkt vor unserer Haustür. Aber es ist noch Zeit, das zu ändern. Noch gibt es die große Vielfalt dort draußen. Wir müssen nur hingehen. Und schauen. Und staunen. Und dabei gesund werden. 

Tipps für Ihren
Kuraufenthalt im Wald

Gehen Sie hinaus in den Wald. Ganz egal, welcher Wald – Urwald oder Kulturwald. Jeder Wald hat seine Eigenheiten. Genießen Sie die reine Luft, fühlen Sie die Rinde unterschiedlicher Bäume, riechen Sie an Kräutern, spüren Sie Zartheit der Lamellen eines Pilzhutes, lauschen Sie den Waldgeräuschen, ziehen Sie die Schuhe aus und spüren Sie das weiche Moos unter der Sohle, vielleicht gehen Sie auch barfuß durch einen klaren Bach, wenn es möglich ist. Atmen Sie tief. Die wichtigen Terpene geben die Bäume durch den Stamm ab, und das beste dabei ist: die Konzentration ist in 1 bis 2 m Höhe über dem Erdboden am höchsten – genau in unserer Nasenhöhe!

Vielleicht machen Sie einige sportliche Übungen mit natürlichen Dingen, die im Wald zu finden sind. Tannenzapfenweitwurf, Astklimmzüge oder Baumstammbalancieren machen nicht nur den Kindern Spaß und halten ganz kostenlos fit. In der guten Luft des Waldes kann Ihre Lunge dabei so richtig durchatmen. 

Sie können auch einen wunderbaren Familienspaziergang machen, lassen Sie doch dabei einmal die Kinder oder Enkelkinder entscheiden, wo es langgeht und in welchem Tempo, gern auch querfeldein. Beobachten Sie, wie frei Kinder sich in der Sicherheit der Waldumgebung bewegen, so ganz ohne die Gefahren des Autoverkehrs. 

Sammeln Sie mit Ihren Kindern natürliches Bastelmaterial, damit Sie auch daheim noch etwas vom Wald haben. Nehmen Sie einen Naturführer mit und bestimmen Sie die Pflanzen des Waldes – Bäume, Büsche, Gräser, Pilze, Blumen. Oder die Tiere – Insekten, Vögel, Säugetiere. Gehen Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Wald – keine Angst, in unseren Breiten leben keine gefährlichen Tiere – und nehmen Sie wahr, wie unterschiedlich das Waldleben zu verschiedenen Tageszeiten, im Dunklen und Hellen, ist. 

Grundsätzlich dürfen Sie jeden Wald frei betreten, auch außerhalb der Wege. Ausnahme: Der Wald ist ein Naturschutzgebiet, dort sollten Sie auf den Wegen bleiben. 

Im Wald gelten nur wenige Regeln: 

  1. Genießen Sie die Stille, aber Sie müssen nicht schweigend durch den Wald gehen. Wildtiere kommen mit etwas Menschenlärm zurecht. Daran erkennen sie, wo und wie weit entfernt wir sind.
  2. Nehmen Sie etwaige Abfälle wieder mit. Auch Essensreste.

Der Wald heilt Körper und Seele

Stärkung des Immunsystems

Bäume geben ätherische Öle ab, die sogenannten Terpene. Mit diesen kommunizieren sie untereinander. 

Anti-Krebs-Wirkung

Unser Körper produziert unter dem Einfluss der Terpene um bis zu 50% mehr sogenannte Killerzellen, die gegen Krebs wirken.

Stärkung der Atemwege

Im Innenklima des Waldes halten die Bäume die Sonnenstrahlen ab und die Bäume verdunsten viel Wasser. Die feuchtere Waldluft befeuchtet auch Ihre Atemwege und erleichtert das Durchatmen sogar im Hochsommer. Bei Lungenkrankheiten war frische Luft auch in der Vergangenheit schon das beste Heilmittel. Denken Sie an die Sommerfrische in den Bergen oder auch die Tuberkulose-Sanatorien, die den Patienten Luftkuren verschrieben. Luftkurorte sind oftmals in waldreichen Gegenden. Auch in Großstädten ist die Luft im nahen Stadtwald oder sogar im Stadtpark besser, als in den Straßenschluchten.

Stressreduktion und Burn-out Prävention

Allein durch den Anblick von Bäumen und des sie umgebenden Grüns wird der sog. „Nerv der Ruhe“, der Parasympathikus aktiviert. Dies bringt uns auch in stressreichen Zeiten sehr schnell „runter“ und führt zudem dazu, dass die Regeneration von Zellen und Organen besser funktioniert. Unter Stressbelastung ist diese Regeneration nur eingeschränkt möglich. 

Senkung des Blutdrucks

Schon 15 Minuten Aufenthalt im Wald können durch Senkung des Stresshormons Cortisol dazu beitragen, den Blutdruck zu senken. 

Schließen möchte ich mit einem wunderbaren Gedicht von Martin Auer.

Über die Erde


Über die Erde
sollst du barfuß gehen. 
Zieh die Schuhe aus, 
Schuhe machen dich blind. 

Du kannst doch den Weg 
mit deinen Zehen sehen, 
das Wasser, 
den Wind.
Sollst mit deinen Sohlen 
die Steine berühren, 
mit ganz nackter Haut. 
Dann wirst du bald spüren, 
dass dir die Erde vertraut.

Spür das nasse Gras 
unter deinen Füßen 
und den trockenen Staub. 
Lass dir vom Moos 
die Sohlen streicheln und küssen 
und fühl 
das Knistern im Laub.
Steig hinein, 
steig hinein in den Bach 
und lauf aufwärts 
dem Wasser entgegen. 
Halt dein Gesicht 
unter den Wasserfall. 

Und dann sollst du dich 
in die Sonne legen.
Leg deine Wange an die Erde, 
riech ihren Duft und spür, 
wie aufsteigt aus ihr 
eine ganz große Ruh'. 

Und dann ist die Erde 
ganz nah bei dir, 
und du weißt: 
Du bist ein Teil von Allem 
und gehörst dazu.

© Martin Auer, blog.martinauer.net, www.martinauer.net



Buchtipp

Walden. 
Oder das Leben
in den Wäldern

Von Henry David Thoreau
Nikol Verlag
ISBN 978-3868203394

Buchtipp

Biophilia-Effekt – 
Heilung aus
dem Wald

Von Clemens Arvay
Ullstein Verlag
ISBN 978-3548376592

Buchtipp

Blattgeflüster. Die wunderbare Welt
der Pflanzen

Von Hope Jahren
Ludwig Verlag
ISBN 978-3-453-28069-4

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